„Plaste und Elaste aus Schkopau“ – auch dröge Werbung geht ins Hirn

schumannVor achtzig Jahren, 1936 also, wurde in Schkopau der Grundstein für ein hochmodernes Werk zur Herstellung von synthetischen Kaut-schuk gelegt. Das im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gebombte Werk wurde in der DDR wieder aufgebaut und mit ihm blieb einer der ganz drögen Werbeclaims verbunden, dem vor allem westdeutsche Autofahrer, die auf der Elbbrücke der A 9 bei Vockerode vorbei kamen, zum Kultstatus verhalfen: „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Der von Siegfried Berthmann im Auftrag des VEB Neontechnik entworfene Claim wurde zwar mühelos nachgeplappert, erschloss sich aber erst auf dem zweiten Blick. Denn Plaste ist eine Wortschöpfung Berthmanns, die aus dem für den Begriff Kunststoff in der Umgangssprache gebräuchlichen Begriff Plastik entwickelt wurde. Elaste ist die von Berthmann entwickelte Kurzform für Elastomere. Die Begriffe bezeichnen also harte und weiche Kunststoffe. Die DDR-Blütezeit Schkopaus begann 1957 mit der Herstellung der Plaste-Karosserie des Trabant. Warum ich Ihnen das erzähle? Überraschend und beeindruckend ist doch, dass ein solch dröger Claim sich auch zwei Generationen, nachdem die Leuchtreklame ins Deutsche Museum eingestellt wurde, nicht aus den Köpfen zu kriegen ist. Das überrascht selbst den langsamsten Leser. Oder?

Möglicherweise war das der Kniff, weshalb die Landesregierung von Sachsen-Anhalt auf die Idee kam, einen ebenso drögen, sperrigen Claim für die Autobahnschilder zu entwerfen: Sachsen-Anhalt – Ursprungsland der Reformation. Klingt das nicht sexy? Wie: Magdeburg – Urort des Maschinenbaus. Nun wird kräftig dem Frühaufsteherslogan nachgetrauert. Allenthalben hört man: Ja, aber der hat das Land bekannt gemacht. Aber das Land habe das Geld nicht mehr. Das Land hatte, als es die Kampagne noch hatte, auch den Humor nicht, der im damaligen Claim steckte. Wenn man ihn entsprechend beworben hätte, wie das weiland die Baden-Württemberger machten. Aber wer kann sich in Sachsen-Anhalt schon selbst auf die Schippe nehmen? In einem Land, in dem Ängstlichkeit in alle Richtungen Staatsräson ist? In dem bereits die Kinder in den Schulen wissen, was sie offiziell sagen dürfen und was sie unter sich sagen. Da klaffen Welten dazwischen. Nur dass es niemand merken will. „Das ist ein politischer Text. Den können Sie drucken, aber nicht unter meinem Namen“, sagten Wittenberger Abiturienten dem langsamen Leser, denn stünde der Name da, könne ja irgendwann ein Ausbilder oder der spätere Chef über diesen frühen politischen Text stolpern und ihn nicht genehm finden. Erinnert mich an ein Land vor langer Zeit, oder? Und die Werbung, die versuchsweise dann auf den Frühaufsteher-Claim aufgesetzt wurde, erinnerte sie nicht an den weiland oft gebrauchten Satz von der „größten DDR der Welt“? Anstatt Selbstbewusstsein zu zeigen trommelt man lieber wie der Schimpanse im Urwald. Nun, insofern ist der neue Claim konsequent. Er ist gar nicht erst humorverdächtig. Das ist, was man hier versteht: Techniker-Deutsch. Sachsen-Anhalt – Ursprungsland der Reformation.

Ja, die Kirchen haben da auch mitgespielt. Es sollte nicht nur der Luther sein. Das Große und das Ganze und wie immer, wenn viele Köche… Es klingt auch so, wie Kirche heutzutage predigt: Wir sagen alles und nichts und darum nur, was ganz richtig und abgesichert und langweilig ist und natürlich niemandem weh tut. Meine Damen und Herrn Pfarrer, damit predigt man die Menschen aus der Kirche und treibt sie zu den Rettern des christlichen Abendlandes! Sachsen-Anhalt – Luthers Heimatland! Daran kann man eine Geschichte anknüpfen und erzählen, auch über die Reformation in ihrer ganzen Bedeutung. Und der Claim stimmte auch noch dazu. Was mache ich mit Jan Hus, mit Calvin und Zwingli und wer außerdem dazugehört?

Und was wird eigentlich aus Melanchthon als Chefideologe, Cranach als Medientycoon der Reformation, und die anderen wie Bugenhagen etc.? Ja, verbietet denn jemand, deren Geschichten an die Geschichte Luthers anzubinden? Da werden nun all die Dinge „entdeckt“, die am Luther nicht koscher sind, sei es die antisemitischen Äußerungen, sei es die Zuneigung zum Weibe. Das alles ergibt wieder ein „anderes Lutherbild“. Als wären das Neuigkeiten. Schämt man sich am Ende dessen, dass der Reformator ein Mensch gewesen sei? Einer, der um des Lebens willen auf Vergebung aus gewesen ist? War das nicht eigentlich der Ansatz?

Es gibt einen moralischen Rigorismus, der gerade im Schwange ist, Leute wie Maaß oder Schwesig stehen dafür, dass es mir graust. Ich bekenne mich da fröhlich zu dem großen Sünder Martin Luther, in dessen Heimatland ich lebe und arbeite. Was für eine wunderbare Möglichkeit, über das Leben nachzudenken und zu wissen, dass nur der ein fröhlicher Mensch sein kann, der fröhlich sündigt, weil er der Vergebung gewiss sein kann – und trotzdem weiß, dass das kein Freibrief ist, dass man unabhängig vom Nächsten alles machen könne, was diesem schade. Hatten wir nicht irgendwann mal etwas von Dialektik gehört?

Nun gut, bei Sachsen-Anhalt – Ursprungsland der Reformation brauchen wir die nicht. Das ist dröge. Das steht da. Da weiß der Techniker, wo der Anfang ist. Man wird nicht genau wissen, wo man das Ende suchen muss. Bei Reformen, die aus der Politik kommen, ganz sicher nicht. Denn die enthalten immer nur Lebens-Verschlechterungs-Programme. Insofern ist der Claim ja sogar mutig, weil er einen Begriff in das Blickfeld der Autofahrer rückt, der einfach wunderbar negativ besetzt ist. Reformen will hier niemand mehr. Also bedeutet doch der Claim nichts anderes als: Autofahrer! Jetzt kommt das Dunkelland. Mithin: Augen zu und durch!