Visionsmangel?

ideologieWie der Mensch die Tragik der eigenen Endlichkeit erkannt hat, schaut er unter der Wachstumsideologie des Kapitals auf ein mögliches Ende seiner Lebensbedingungen. Begrenzte Ressourcen, Raubbau an der Natur und Umweltverschmutzungen befeuern eine Art Weltrettungs-Ideologie. Politisch wird versucht, Wachstum und Umweltschutz zu vereinen. Der Widerspruch darin wird einem guten Glauben geopfert.

Von Thomas Wischnewski

 

Menschen brauchen Träume. Sie sind Triebfeder, um unbekannte Wege zu beschreiten und Motivation, etwas zu beginnen. Für eine Gesellschaft sind Visionen und Utopien wichtig, um Orientierungen anzubieten. Religionen haben im Zuge der Säkularisierung in Deutschland vielfach die Funktion eines kulturellen Leitgedankens verloren. „Gottgewolltes“ findet im praktischen, politischen und gesellschaftlichen Planen kaum Berücksichtigung. Das wirtschaftliche Fundament fußt vorrangig auf ein Konzept, das mit dem Wort Kapitalismus beschrieben wird. Kapitalinteressen sind Geldinteressen. Daran scheint offensichtlich alles zu hängen, und keiner Vorstellung ist es bisher gelungen, einen dauerhaften Ausweg aus einem wachstumsorientierten Wirtschaften, konkurrierender Marktstimulanz und gnadenloser Selektion bei Wertverfall zu weisen.
Die Grundmechanismen der privatwirtschaftlichen organisierten Gesellschaft wurden bereits im 19. Jahrhundert, vor allem von Karl Marx im Werk „Das Kapital“ beschrieben. Die Grundkritiken am System bleiben hochaktuell und viele Entwicklungen, wie beispielsweise die Entstehung eines globalen Finanzkapitals, wurden bereits von Marx prophezeit. Die ursprüngliche Kapitalismuskritik mündete schließlich in sozialistische und kommunistische Theorien. Deren diktatorisch praktizierter Versuch in der Sowjetunion und Osteuropa, einschließlich der DDR, taugt heute nur noch als abschreckendes Beispiel eines gesellschaftlichen Entwurfs. Welche Zukunftsvisionen bewegen uns dann?
Linke Ideen standen politisch bisher für die Bereitschaft zur Veränderung, rechte oder konservative Positionen sollen ein Fundament für Bewahrenswertes legen. Liberalität als Moment der sich selbstorganisierenden Kräfte der Gesellschaft mit möglichst wenig staatlichem Regularium möchte Menschen Chancen sichern, um möglichst frei Ideen umsetzen zu können. Aus diesen Hauptströmungen speiste sich ein gesellschaftlicher Konsens, der mal mehr oder mal weniger die eine oder die andere Seite betonte. Der demokratische Prozess vollzog sich auf der Grundlage eines wachsenden Wohlstands der Deutschen. Das vertraute Konstrukt scheint jedoch mehr und mehr aus den Fugen zu geraten.
In den Jahrzehnten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prosperität war ein Konsens im Spiel politischer Kräfte leicht herzustellen. Aus der besonderen historischen Verantwortung der Deutschen, die als logische Konsequenz aus dem Vermächtnis des 1. und 2. Weltkriegs abgeleitet werden kann, ist ein vorrangig weltoffenes, solidarisches und friedfertiges Handeln auf allen Ebenen erwachsen. Der europäische Einigungsprozess darf als Ausdruck der Sehnsucht begriffen werden, nie wieder in einen gewaltsamen Konflikt benachbarter Staaten und Völker zu geraten. Das alles ist bekannt und anerkannt. Im Staatsgefüge setzten sich mehr und mehr Normen für sozialen Ausgleich durch, getragen von linksliberalen Gedanken. Was links ist, steht für Fortschritt und für das allgemeine Wohl. Unter solchen Maßstäben begreifen sich viele, die Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Verwaltung tragen.
Wir wissen, dass wir mitten in Europa einen Status quo an Lebensqualität erreicht haben, der weltweit herausragend ist, zumindest in statistischen Fakten. Individuell fällt die Sicht darauf jedoch sehr unterschiedlich aus. Aber Luxus treibt manchmal kuriose Blüten. Politisch soll eine höchst mögliche Verteilungsgerechtigkeit hergestellt werden, Gleichstellung und bestmögliche Chancengleichheit gilt es zu garantieren. Die bürgerliche Gesellschaft des Informationszeitalters stellt hohe Ansprüche. Solche sind jedoch im Zuge weltweiter Warenströme, internationaler Wirtschafts- und Konzernvernetzung, großer regionaler Krisen wie derzeit im Nahen Osten oder Nordafrika kaum mehr in nationalen Grenzen einzumauern. Heute, wo die Werkbänke und Fließbänder unserer Konsumprodukte in Asien stehen, Rohstoffe aus allen Teilen der Erde herangeschafft werden, sind wir auf eine Weise mit der ganzen Welt verbunden, dass jeder kleine Schnitt in dieses Netz ein Riesenloch reißen kann.
Trotzdem leben wir gern in der Vorstellung, mit ausgleichender Toleranz und sozialer Gesinnung können wir die Welt nach unserem Vorbild besser machen. Seit die Menschheit weiß, dass die Erde rund ist und ihre Ressourcen endlich sind, ist das Bewusstsein gereift, sorgsam mit Rohstoffen und Energieeinsatz umzugehen. Insbesondere in Sachen Klima- und Umweltschutz ist eine breite Bewegung entstanden, die solchen Zielen Rechnung tragen will. Aber die Einsicht allein produziert meistens noch kein gewünschtes Handeln.
Die Grünen haben diese Entwicklung maßgeblich getragen und vorangetrieben. Heute darf sich keine politische Strömung Losungen nach Umwelt- und Naturschutz verweigern. Anderenfalls wäre sie als reaktionär gebrandmarkt. Es scheint so, als hätte sich das gesamte Schutzanliegen wie eine Ersatzideologie über alles gelegt. Visionen von Zukunft funktionieren nicht ohne Formulierungen über die Rettung des Planeten. Doch der Planet muss nicht gerettet werden, maximal die Lebensgrundlagen menschlicher Existenz. Die Konsequenzen menschlichen Raubbaus verfolgen uns und sie werden uns fast täglich vorgehalten. Wenn im Frühling die gelben Rapsfelder blühen, möchte man sich an der satten Farbe erfreuen und gleichsam erzeugt das Bild ein gutes ökologisches Gewissen. Landwirtschaftsfachleute und zahlreiche Wissenschaftler hegen Zweifel an der hochgehaltenen Maxime zum Einsatz nachwachsender Rohstoffe. Sie behaupten, dass sich monokultureller Anbau schädigend auf Boden und Tierwelt auswirkt. Außerdem ist Skepsis an der Energiebilanz angebracht. Aussaat, Bewirtschaftung, Ernte, Transport und Weiterverarbeitung dürften möglicherweise mehr Energie verschlingen als am Ende herauskommt. Der Wirkungsgrad des Energieträgers ist gering. Warum stößt sich niemand daran? Vielleicht, weil der Bereich gut subventioniert wird und man gern aus dem Fördertopf löffelt und der zugleich das gute Gewissen sättigt.
Unser Verständnis über Zukunft baut heute vorrangig auf eine Art Weltrettungsvorstellung. Klima-, Umwelt- und Naturschutz – so heißen die Schlagworte, die Orientierung geben sollen. Alles, was irgendwie mit dem Begriff „Schutz“ besetzt ist, erzeugt unmittelbar eine positive Einstellung. Sobald an einem Vorhaben oder einer Idee das Etikett Umweltschutz haftet, verbreitet sich der Eindruck, alles sei auf dem richtigen Weg. Autobahnen werden mit Anlagen errichtet, die der Tierwelt einen natürlichen Lebensraum erhalten sollen, welche zusätzlichen Ressourcen dafür verbraucht werden, welcher Mehraufwand an Energie von Nöten ist, bleibt unbeantwortet. In Sachsen-Anhalt gibt es dazu noch nicht einmal eine Untersuchung. Dialektische Erfahrungen der Menschheit zeigen und noch jeder natürliche Prozess beweist es ohnehin, dass ab einem bestimmten Potenzial ein Vorgang genauso gut in sein Gegenteil umschlagen kann. Fraglich ist, warum Visionen zum sorgsamen Umgang mit der Natur, die uns vom Anliegen her positiv erscheinen, oft nur einseitig betrachtet werden. Zu grundlegenden politischen Losungen gehört die Forderung nach Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstands, hierzulande und am besten in der ganzen Welt. Daraus soll dann Verteilungsgerechtigkeit erwachsen. Es muss jedoch gefragt werden, was solche Forderungen mit dem Schutzansinnen für Natur und Umwelt zu tun haben? Zukunftsforscher stellen das Wertmodell Wachstum infrage. Der Sozialpsychologe Prof. Harald Weizer und der Umweltökonom Prof. Niko Paech sprechen am 2. und 3. Juni an der Magdeburger Universität zu diesem Thema. Und sie üben scharfe Kritik an der Wachstumsgesellschaft.
Aber selbst Sozialdemokraten proklamieren Wachstum als Lösung für soziale Probleme und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Offenbar stecken Visionen über die Zukunft der Gesellschaft ziemlich in der Sackgasse. Der derzeitige Niedergang der deutschen Sozialdemokratie kann auch als Folge ihrer Zugehörigkeit zum Establishment gesehen werden. Selbst die Linken, die noch am schärfsten Kapitalismuskritik üben, haben sich mit ihrer Klientel in der Mitte der Gesellschaft eingerichtet. Heute wundert man sich in ihren Reihen, dass sich eine wachsende Bürgerzahl von ihren Vorschlägen nicht mehr vertreten sieht. Linksliberal erscheint der überwiegende Teil gut situierter Eliten. Sozialdemokratische Weichenstellung erkennt man häufig näher am Neoliberalismus als an der Interessenvertretung sozial Benachteiligter. Die SPD ist mit Gerhard Schröder spürbar in die sogenannte Mitte gerückt und die einst konservative CDU gießt sogar vielfach linksliberale und grüne Forderungen in Gesetze. Das ist grundsätzlich nicht zu verurteilen. Nur auf einem Planeten mit unverändert expandierenden Kapitalinteressen und der Konzentration von Reichtum in den Händen Weniger kann man kaum Antworten für die Zukunft aus einer ökologischen Sozialpolitik für Wachstum geben.
In unseren Köpfen setzen wir wohl manchmal Puzzleteile zusammen, die zwar in eine Ideologie der Weltrettung zu passen scheinen, aber doch aus einem ganz unterschiedlichen Stoff sind, zumindest aus einem geistig sehr verschiedenen. Als der Zulauf an Wählerstimmen für die AfD nicht mehr aufzuhalten war, hörte man vielfach den Ruf, jetzt müssten die Demokraten zusammenstehen, um die Demokratie zu retten. Man muss entgegnen, dass die Demokratie keine Ideologie ist und nicht die Lösung, sondern nur das Fundament für Lösungswege. Visionen dürfen weit vorausschauen. Allerdings kommt derzeit keine deutsche Partei mit einem überzeugenden Zukunftsmodell um die Ecke. Indes wird in der Europäischen Zentralbank mit einer Nullzinspolitik und einer weiteren fiskalischen Zentralisierung der EU hilflos versucht, Wachstum an der europäischen Peripherie zu erzeugen. Für das Abschmelzen südeuropäischer Staatsschulden werden die Sparguthaben der Bürger auf dem Wachstumsaltar geopfert. Umweltschutz und Wachstum – das wird wie im gemeinsamen Einklang als eine Art Ersatzreligion gepredigt. Der Widerspruch darin fällt dem guten Glauben zum Opfer.