„Angst essen Seele auf“

angstTerrror und Gewalt verbreiten Angst und Schrecken. Opfer werden dadurch weder gesühnt noch verhindert. Über die innere unsichere Sicherheit.

Anschläge in Deutschland. Terror. Schrecken und Opfer von Gewalttaten. Die Wellen über Attacken in Ansbach und Würzburg schlugen hoch. Was bleibt, ist die Angst vor dem Terror, der noch kommen mag. Nichts darf die Opfer und das Leid der Angehörigen relativieren oder klein reden. Doch es muss immer wieder die Frage aufs Neue gestellt werden, ob die Wahrnehmung über solche Ereignisse angemessen ist bzw. was eine kollektive Angst für Folgen für das Klima der Gesellschaft hat. Magdeburg mag von allen Ereignisorten weit entfernt sein, dennoch legt sich über das Leben eine imaginäre Angst. Doch wie viel davon ist wirklich angemessen oder selbst gemacht? Kriminaldirektor Frank Bendzka, der Leiter des Reviers Magdeburg und damit Verantwortlicher für die Polizeiarbeit in der Landeshauptstadt, blickt auf die Kriminalitätsentwicklung des ersten Halbjahres und konstatiert, dass es in der Gesamtzahl keinen Anstieg gegenüber 2015 gibt. Vor allem so genannte Rohheitsdelikte zeigen in Zahlen keine Steigerung. Was hierzulande wirklich geschah, ist in Zahlen nur der Wahnsinn, der schon immer gegenwärtig war. Das Sicherheitsgefühl, das Ausdruck in öffentlichen Äußerungen oder politischen Forderungen findet, ist etwas viel komplexeres, nicht einfach eine an Zahlen messbare Größe. Vor allem speist es sich aus Gedanken und deren Interpretationen. Frank Bendzka hat Erfahrung mit dem Phänomen medialer Aufmerksamkeit. Immer, wenn Medien über Straftaten, Täter und Opfer berichten, entsteht eine extrem verzerrte Wahrnehmung. Erst die Aufmerksamkeit auf eine Gewalttat produziert den gesellschaftlichen Schrecken. Betroffenen hilft das nicht. Aber es wächst der Wunsch nach Verfolgungsdruck, alles ruft nach mehr Polizei und konsequenterer Zurückdrängung. Im Alltag der polizeilichen Arbeit hat sich eigentlich gar nichts signifikant geändert. Die Unterstellung drohender Gefahr, die Angst davor und permanente Rufe schüren das Gefühl von Unsicherheit. 3.459 Verkehrstote zählte man 2015 in Deutschland. Allein im Mai 2016 waren es 324. Wo ist beispielsweise die Angst vor dem Fahren auf der Autobahn? Wo der Aufschrei über den Schrecken an unfreiwilligen Lebensenden? Täglich sitzen „Gewalttäter“ am Steuer, solche, die Alkohol getrunken haben oder andere, die ein Gaspedal durchtreten, wie den Abzug einer Waffe. Die tägliche Normalität des immer wiederkehrenden Unfallschreckens hat über die vielen Jahrzehnte jeden Protest und jede Empörung darüber erstickt. Weder Führerscheinausbildung noch Verkehrsregeln oder drohende Sanktionen als Folge verhindern die Toten. Wir nehmen in diesem Fall Vermeidbares als unvermeidbar hin, einfach, weil das Geschehen offenbar zur Alltäglichkeit des modernen Lebens gehört. Noch einmal: Jeder Terrorakt ist einer zu viel. Es geht jedoch um das Gefühl aller Nichtbetroffenen und die Möglichkeiten, die Schrecken von vorsätzlicher Gewalt nicht in eine Spirale der psychologischen Selbstzerfleischung zu führen, unter der sich die Mechanismen der Gesellschaft und deren grundlegende Organisation auflösen könnten. Wenn an einem Unfallort eine Schar Zuschauer in Hysterie verfällt, werden Rettungskräfte und Polizei in ihrer Arbeit behindert. Jeder weiß das und trotzdem geschieht es aus dem Erleben eines ungewöhnlichen Moments heraus. Nicht die Nachrichten bestimmen das Leben, sondern jeder bestimmt selbst. Dass Politik ein Gespür dafür besitzen muss, was Bürger umtreibt, worüber sie welche Angst entwickeln und was ihnen Sorge bereitet, ist notwendig. Die Konflikte auf unserem Planeten klein zu reden, wäre frevelhaft. Sie scheinen in zunehmendem Potenzial in den Alltag unseres Selbstverständnisses einzudringen. Dennoch sind sie derzeit vor allem Ausdruck ihrer medialen Verbreitung. So nüchtern es klingen mag, aber die berechtigte Weltempörung über den Holocaust in Deutschland war erst da, als er vorbei war. Und so ergeht es uns immer wieder. Man kann noch so viele Aspekte für ein sicher geglaubtes Sein bedenken, es platzt doch stets die Wirklichkeit mit einer Vernichtungskraft dazwischen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Magdeburg ist nicht sicherer als andere Orte in dieser Republik, aber eben auch nicht unsicherer als das Leben selbst. Wir müssen dem Schrecken, der aus jeder Gewalt blickt, geradeaus in die Fratze schauen, aber wir dürfen uns nicht unter der darüber aufsteigenden Interpretationsblase an unendlich vervielfachten Nachrichten Angst einjagen lassen. „Angst essen Seele auf“ – ist der Titel des 1974 erschienenen Films von Rainer Werner Fassbinder, der als Melodram mit kühler Brillanz die Missachtung von Minderheiten und die Mechanismen sozialer Unterdrückung analysiert. Angst ist ein Unterdrückungsmechanismus, der vielfach im Phänomen selbsterfüllender Prophezeiung erst seine ganze destruktive Kraft entfaltet. Wenn irgendwer auf diesem Planeten Deutschland und seine Menschen als Feind sehen will, sind wir schlecht beraten, solchen Widersachern mit Angst zu begegnen. Wenn jemand verabscheuungswürdig eine Seele auslöschen will, muss er geächtet sein bis zum Ende seiner Tage. Doch wenn wir selbst mit Angst an unserer Seele nagen, hilft das keiner Seele, sondern nur dem Verbrechen, das eben dieses Ziel verfolgt. (tw)

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