Die Goldschürfer von Magdeburg

120216pg_plakat2Anfang Dezember soll in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt eine einschneidende Strukturreform des deutschen Hochleistungssports verabschiedet werden. Richtig Geld gibt es dann nur noch für diejenigen, die Medaillen versprechen. Von Rudi Bartlitz

Ausgerechnet Magdeburg. Ausgerechnet mit dem Namen der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt soll sich künftig, geht es nach dem Willen von Sportführung und Politik, einer der größten Einschnitte bei der Förderung (respektive: Nichtförderung) der Leibesübungen in Deutschland verbinden, die es nach der Wende gegeben hat. Strukturreform heißt das Zauberwort, das am 3. Dezember im Maritim-Hotel bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zur Debatte steht; und möglichst verabschiedet werden soll. Dort wollen Sport und Politik darüber entscheiden, wie es bis 2028 mit der staatlichen Unterstützung, sprich: den Fördergeldern, in den olympischen Sportarten weitergeht.

Es braucht keiner prophetischen Gabe, um schon heute vorherzusagen, dass die Wogen hochschlagen werden. Denn es geht um nichts Schnöderes als Geld. Geld, das der Sport braucht wie die Luft zum Atmen. Ohne das ein Weiterkommen wie bisher unmöglich ist. Schon im Vorfeld prallten die Protagonisten heftig aufeinander. Kein Wunder, steht in einigen Sportarten nichts Geringeres als die pure Existenz als Hochleistungsstandort auf dem Spiel. Worum geht es konkret? Dass es mit dem deutschen Hochleistungssport und seinen Erfolgen bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften seit der Wende unübersehbar bergab geht, ist ein offenes Geheimnis. Letzter Beleg: die Sommerspiele 2016 in Rio. Die Zahl der bei den Ringe-Spielen gewonnenen Medaillen hat sich seit Barcelona 1992 (82 Medaillen) fast halbiert: In Brasilien hatten deutsche Athleten noch 42 Mal Edelmetall gewonnen.

Die Crux: Diese Tendenz war seit über einem Jahrzehnt erkannt, Erfolge brachten die Versuche gegenzusteuern aber kaum. Spätestens nach London 2012 warnten die Funktionäre, bei einem „Weiter so“ werde die Bundesrepublik sich aus der Spitzengruppe der erfolgreichsten Nationen endgültig verabschieden. Deutschland hinter China, den Russen den Amerikanern und nun sogar den Engländern? Gott bewahre, so durfte es nicht weitergehen. Wo käme die Sportnation denn hin?

Die Diskussion kam so richtig ins Rollen, als zu Jahresbeginn der für die Leibesübungen zuständige Innenminister Thomas de Maiziere die Strukturen im deutschen Sport offen kritisierte und schlankweg 30 Prozent mehr Medaillen forderte. Das daraufhin von Politik und Sportführung aufgestellte neue Goldschürfer-Programm soll Schluss machen mit dem Gießkannen-Prinzip, nach dem die Förderung hierzulande bisher funktionierte. Künftig sollen nicht mehr Ergebnisse der Vergangenheit, sondern das Potenzial der Zukunft im Mittelpunkt stehen.

Die vermeintliche Erfolgsformel ließe sich so zusammenfassen: Geld gibt es nur noch bei begründeter Aussicht auf Gold. Anders ausgedrückt: Erfolgreiche Sportarten werden noch stärker gefördert, die aussichtsreichen bleiben im Boot und die anderen müssen sehen, wo sie bleiben, sich allein über Wasser halten. Einige, zuletzt wenig erfolgreiche Verbände wie auch viele Athleten, befürchteten, bei dieser Art von Förderung starke Einbußen hinnehmen zu müssen oder ganz durchs Raster zu fallen. Manche fühlen sich sogar schon fatal an den ebenso folgenreichen wie zynischen Beschluss der DDR-Sportführung aus dem Jahr 1971 erinnert, als – im Sinne staatlicher Medaillengier – ganze Sportarten auf der Strecke blieben.

Einigkeit besteht weitgehend darin, dass sich etwas ändern muss. Das Ungleichgewicht , auch da widerspricht kaum einer, muss abgebaut werden. Denn in der Gegenwart gewinnen 10 von 30 Sportarten 80 Prozent der Medaillen; die Sportlerinnen und Sportler von 16 Verbänden kehrten von den Spielen in Rio undekoriert zurück. So spricht sich der mit einer Goldmedaille (Seoul 1988) ausgezeichnete Ruderer und Volkswirt Wolfgang Maennig dafür aus, erfolglosen Verbänden die Zuwendung zu kürzen, damit sich im Sinne der Athleten Strukturen änderten. Damit scheint er einen Nerv zu treffen.

Fasst man die bisherige Diskussion zur Strukturreform zusammen, so herrscht jedenfalls die Überzeugung vor: Es muss etwas passieren. Der Vorsitzende der Konferenz der Landessportbünde, Sachsen-Anhalts Landessportbund-Präsident, Andreas Silbersack, konstatierte bereits: „Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht.“ Uneinigkeit herrscht hingegen darüber, wie diese Veränderungen herbeigeführt werden sollen. Ein dazu geschaffenes Computer-Modell „PotAS“ (Potential-Analysesystem) soll die Basis für die Einstufung von 130 Disziplingruppen ins staatliche Fördersystem bilden. Wer also Goldmedaillen verspricht, wird demnach optimal unterstützt (Gruppe 1), wer keine Aussicht auf Erfolg bei Olympischen Spielen hat, verliert den Anspruch auf Staatshilfe (Gruppe 3). Dass ein mathematisches Modell quasi die Förderbescheide ausreicht, dagegen laufen Verbände und Athleten derzeit Sturm.

Um die in Magdeburg zu beschließende und in einem 60 Seiten starken Papier fixierte Reform durchzusetzen, ist nicht nur eine andere Verteilung der derzeit rund 170 Millionen Euro im Spitzenbereich vorgesehen. Damit einhergehen sollen Veränderungen in der Struktur des Hochleistungsbereichs und eine viel engere Verzahnung (und damit bessere Nutzung der Potenziale) der sportwissenschaftlichen Zentren und Universitäten. Es ist vorgesehen, die Zahl der Olympiastützpunkte von 19 auf 13 zu reduzieren. Der in Sachsen-Anhalt mit seinen beiden Zentren Magdeburg und Halle ist nach Informationen von Magdeburg Kompakt davon jedoch nicht betroffen.

Anders sieht es schon bei den Bundesstützpunkten aus. Hier droht Halle die Schließung von drei Einrichtungen, im Turnen, in der Rhythmischen Sportgymnastik und im Schwimmen. Magdeburg muss zwar keine direkten Schließungen befürchten, Umstrukturierungen sind allerdings im Zusammenhang mit den Veränderungen in Halle nicht ausgeschlossen. In der Saalestadt führten die avisierten Schließungen einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung“ zufolge bereits dazu, dass Schwimm-Erfolgstrainer Frank Embacher, der Ex-Weltmeister und Weltrekordler Paul Biedermann zu dessen Triumphen führte, schon mal beim Arbeitsamt vorsprechen musste. Das ruft auch die Politik auf den Plan. So forderte der sportpolitische Sprecher der Linken, Thomas Lippmann, dazu auf, „für den Erhalt der Stützpunkte zu kämpfen. In Halle wurde mit viel Geld eine neue Schwimmhalle gebaut, im Volksmund die „Biedermann-Halle“ genannt. Auch die Turner und Ruderer haben eine Tradition und sehr gute Erfolge in der Saalestadt.“

Beim SC Magdeburg hat man aus der Debatte um den Hochleistungsstandort Deutschland – auch als Konsequenz auf Rio – bereits zwei Schlussfolgerungen gezogen. Zum einen wird es künftig, wie Präsident Dirk Roswandowicz in dieser Zeitung bereits Monate vor den Sommerspielen 2016 angekündigt hatte, keine Erwartungen an die eigenen Sportler mehr geben, die um eine Medaille oder eine bestimmte Platzierung bei Olympia kreisen. Qualifikation fürs deutsche Team heißt vielmehr die Devise. Zum anderen deutet sich bei den Leichtathleten ein Konzentrationsprozess auf Disziplingruppen an, die national und international Erfolg versprechen.

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Am 12. Februar präsentierte Sportminister Holger Stahlknecht ein Plakat für die Rio-Olympioniken aus Sachsen-Anhalt. Foto: Peter Gercke

Wie auch immer die Grundsatz-Debatte Anfang Dezember in Magdeburg ausgehen mag – es wird den deutschen Hochleistungssport, der weiterhin am Tropf des Staates hängt, nicht prinzipiell aus seiner Grundmisere befreien. Den Mangel an Geld nämlich. Denn die besagten 170 Millionen Euro, die jährlich aus dem Etat des Innenministeriums kommen, werden am Ende des Tages vorn und hinten nicht reichen, um den Abstand zu den führenden Nationen nicht weiter ansteigen zu lassen, geschweige denn erkennbar zu minimieren.

Wir verfügen über kein College-System wie die USA – und werden es auch nie haben. Wir verfügen über kein im Kern zentralistisches Cluster wie es sich die Briten in diversen Schwerpunktsportarten (Schwimmen, Radsport) in den vergangenen 15 Jahren geschaffen haben. Um der Ehrlichkeit das Wort zu geben: Wir könnten schon über ein solches System verfügen – aber wir wollen es nicht. Aus prinzipiellen sportpolitischen Gründen nicht. Da steht zum einen der Föderalismus wie eine unüberwindliche Mauer im Wege, zum anderen hat es noch niemand flächendeckend mit einer zentralen Steuerung überhaupt probiert. Das verblüfft schon: Denn dort, wo in Deutschland in Ansätzen eine Bündelung von Athleten, Trainern und Knowhow erkennbar praktiziert wird, im Wintersport nämlich, dort bleiben, bei allen in Sotschi sichtbar gewordenen Leistungseinbrüchen, die Erfolge nicht aus.

Bleibt eigentlich nur eine Konsequenz: die deutsche Wirtschaft. So lange die allerdings nicht bereit ist, sich in Größenordnungen stärker im Hochleistungssport zu engagieren, sondern – wenn überhaupt – weiter vor allem auf den Fußball setzt, solange wird selbst ein neues Spitzensportkonzept zwar eine notwendige, aber keine allseits zufriedenstellende Lösung für die Zukunft abgeben. Wie immer man es auch drehen mag.