Wenn das Ich Lücken bekommt

birgit_zintl_wupUnser Leben lang sammeln wir Informationen in unserem Gehirn – angefangen vom Lernen in der Schule bis hin zum Bewahren von Erinnerungen an besondere Erlebnisse. Doch irgendwann wird diese Sammlung kleiner. Sie nimmt ab. Nicht immer nur durch die übliche Selektion des Gehirns, das nicht genutzte, überflüssige Informationen „fallen“ lässt, sondern auch aufgrund von Krankheiten. Das Ich bekommt Lücken, verliert seine geistige Leistungsfähigkeit … Etwa 1,6 Millionen Menschen sind nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit derzeit in Deutschland an Demenz erkrankt. Demenz – wörtlich aus dem Lateinischen „weg vom Geist“ – ist jedoch mehr als eine Gedächtnisstörung, denn die Krankheit wirkt sich auch auf das Verhalten, das Erleben und die Wahrnehmung aus. Bedingt durch den demografischen Wandel nehmen die Herausforderungen im Gesundheits- und Sozialwesen, demenziell Erkrankte zu versorgen, stetig zu.

Birgit Zintl (großes Foto) liegen diese Herausforderungen. Sie gehören zum Arbeitsalltag der 54-Jährigen, die in Stuttgart zur Welt kam, aber in Magdeburg aufwuchs. Bereits seit 1989 arbeitet die gelernte Krankenschwester bei der Wohnen und Pflegen gGmbH Magdeburg im Haus Heideweg. Seit etwa sechs Jahren leitet sie den Demenzbereich. Dort leben auf zwei Etagen 32 Menschen mit einer demenziellen Erkrankung. „Es gibt Tage, da kann man problemlos mit dieser Situation umgehen“, sagt Birgit Zintl. „Das sind vor allem die Tage, an denen ich merke, dass es den Bewohnern gut geht … dass der eine oder die andere etwas dazu gelernt und sich dies gemerkt hat. Auch wenn ich weiß, dass sie es morgen schon wieder vergessen haben könnten.“

Der Kampf gegen das Vergessen – es scheint wie ein Kampf gegen Windmühlen. „Eine Therapie, die zur Heilung führt, ist momentan nicht möglich. Doch würden wir gar nichts tun, würde sich die Situation eines an Demenz erkrankten Bewohners noch schneller verschlechtern.“ So versuchen Birgit Zintl und die Betreuungskräfte, die im Früh- oder Spätdienst arbeiten, die noch vorhandene Selbständigkeit der Bewohner zu bewahren. Das beginnt schon beim Frühstück. Die Personen, die mobil sind, kommen zum gemeinsamen Essen. Wer dies nicht mehr kann, wird im Zimmer verpflegt. „Beim Essen wird dann nochmal unterteilt“, führt die Wohnbereichsleiterin fort. „An einem Tisch sitzen diejenigen, die sich selbständig am Buffet bedienen und essen können. Die Personen, die bei der Vorbereitung ein wenig Hilfe brauchen, sitzen an einem anderen Tisch. Und dann haben wir noch einen Tisch für die Personen, die zwar mobil sind, aber beim Essen Unterstützung brauchen.“

birgit_zintl_wupSo setzt sich dies auch im Alltag der Bewohner fort. „Gezwungen wird niemand – das gilt auch für die gemeinsamen Mahlzeiten, denn einige wenige Personen sind beim Essen lieber allein. Aber wer kann und möchte, darf sich im Rahmen der Möglichkeiten einbringen.“ Auf das Bepflanzen der Terrasse trifft das ebenso zu wie auf das Kuchenbacken oder andere Aktivitäten im Haushalt. Und dann gibt es neben den Mahlzeiten noch die Angebote, die je nach Wochentag variieren. „An manchen Tagen wird gesungen, gebastelt oder gespielt. Einige Spiele kann man gut zum Gedächtnistraining nutzen. Und auch für die körperliche Fitness wird etwas getan – es gibt Aktivitäten, die den Tastsinn schulen, Balance-Training oder Sturzprophylaxe“, zählt Birgit Zintl auf. Zwischendurch ist dann Zeit zum Ausruhen, Lesen oder Fernsehen.

Für die Betreuungskräfte der Wohnen und Pflegen gGmbH ist der Arbeitsalltag in diesen Momenten etwas ruhiger, aber Stillstand herrscht nie. Organisatorisches, Besprechungen, Dienstpläne – das alles muss erledigt werden und in der Zwischenzeit schauen die Mitarbeiter nach den Bewohnern. „Auch nachts wird regelmäßig nachgesehen, ob alles in Ordnung ist und beispielsweise ein Getränk gereicht.“ Birgit Zintl ist den ganzen Tag fokussiert, sorgt sich um die Bewohner und auch um ihre Mitarbeiter. Spielt mit, wenn einer der demenziell Erkrankten sie für einen Bekannten aus der Jugend hält. „Dies abzustreiten, versuchen zu erklären, wer ich bin, würde die jeweilige Person nur noch mehr verwirren. Also gehe ich darauf ein…“

Für einen kurzen Augenblick abzuschalten ist bei der Arbeit nicht möglich. Und manchmal gelingt es Birgit Zintl auch nach Dienstschluss nicht. „Manche Ereignisse – wenn sich beispielsweise der Zustand eines Bewohners stark verschlechtert oder wenn ich mit Angehörigen spreche, die die Situation nicht akzeptieren wollen – gehen mir sehr nahe“. Die physische, aber auch psychische Belastung, die dieser Beruf mit sich bringt, sollte man nicht ausblenden. „Dennoch macht mir der Beruf viel Spaß, weil von den Bewohnern oft ein Lächeln zurückkommt und weil mir die Herausforderungen und der Umgang mit den Menschen liegen.“ Auch die Sicht auf die Krankheit habe sich durch ihren Beruf geändert. „Angst vor dem Älterwerden und vor der Demenz habe ich nicht …“ Tina Heinz