Obwohl der Kader mehr verspricht, rangiert Handball-Bundesligist SC Magdeburg nach einem Siebtel der Saison nur auf einem ernüchternden 13. Platz. Magdeburg Kompakt nennt einige Ursachen dafür. Von Rudi Bartlitz
Da glaubt der gemeine Handballfreund noch, die Bundesliga-Saison nehme gerade erst so richtig Fahrt auf. Noch wähnt er sich in der Orientierungsphase, beginnt sich ein wenig einzurichten, sortiert Ergebnisse. Erste Misserfolge werden mit der gängigen Floskel abgetan, abgerechnet werde natürlich erst viel, viel später. Doch ein kurzer Blick auf die vorderste Rubrik der Tabelle (die die Zahl der absolvierten Begegnungen annonciert) zeigt: Ja mein Gott, die Liga hat am zurückliegenden Wochenende bereits ein Siebtel ihrer Spielzeit hinter sich gelassen.
Und spätestens jetzt verfällt der eine oder andere ins Grübeln. Wo, fragt er sich, steht denn mein Lieblingsklub? Muss ich mir vielleicht Sorgen machen oder sind das tatsächlich alles nur Anfangsgeplänkel? Wenn der Fan nun Grün-Rot zu seinen Farben erkoren hat, neigt er – von kühnen Dauer-Optimisten einmal abgesehen – wahrscheinlich doch eher zu Variante eins. Denn Zahlen lügen nicht: Der SC Magdeburg rangiert nach dem fünften Spieltag mit 3:7 Punkten auf einem ernüchternden 13. Rang. Zugegeben, man musste dreimal auswärts ran und mit Meister Rhein-Neckar Löwen, Vizechampion SG Flensburg und Angstgegner DHfK Leipzig, sowie den beiden Traditionsvereinen TBV Lemgo und VfL Gummersbach trafen die Schützlinge von Trainer Bennet Wiegert dabei fast durchweg auf starke Konkurrenz.
Ein Vergleich zum Vorjahr – wo am Saisonende für den ostdeutschen Vorzeigeklub ein alles in allem unbefriedigender achter Rang heraussprang – offenbart, dass der SCM seinerzeit nach fünf Runden (6:4 Punkte) in der Tabelle auf Platz sieben geführt wurde. Ein leichtes Trugbild, wie sich später herausstellt. Zum einen wiesen die Gegner in der Summe nicht das Format auf wie in diesem Jahr, zum anderen ging es ab Spieltag sechs nur in eine Richtung – weiter nach unten. Am Ende war der SCM nie besser als Platz acht. Dem Klub-Maskottchen Eulenspiegel jedenfalls ist auch in diesem Jahr das schelmische Lachen zunächst einmal vergangen. Dass bei den kritischen Fans in der Getec-Arena und in den sozialen Medien schon wieder Angstszenarien die Runde machen, verwundert kaum , denn der Rückstand zu den Spitzenklubs beträgt bereits schon sieben beziehungsweise fünf Minuszähler. Ist alles schon wieder vorbei, ehe es eigentlich richtig angefangen hat? Zumal die Magdeburger mit der klaren Zielvorgabe gestartet waren, es diesmal auf jeden Fall besser zu machen als in der vergangenen Spielzeit , in den Kampf um die Positionen hinter dem Spitzentrio Löwen, Flensburg und Kiel einzugreifen und sich erneut für den europäischen Wettbewerb zu qualifizieren.
Es zeichnen sich vor allem drei Faktoren ab, die bisher ein besseres Abschneiden verhindern. Da ist zum einen die seit längerem beklagte Inkonstanz der Leistungen. Hier ist das Team nicht vorangekommen. Es geht auf und ab. Die Mannschaft besitzt weiterhin zwei Gesichter. „Die Magdeburger können in dieser Liga jeden schlagen, sie können an schlechten Tagen aber auch fast gegen jeden verlieren“, analysierte Ex-SCM-Star Stefan Kretzschmar jüngst treffend. Beispiel: Einem mageren Heimremis gegen Leipzig folgt gut 72 Stunden später ein sehr couragierter Auftritt beim ungeschlagenen Spitzenreiter Flensburg (den man am Rande einer Heimniederlage hatte).
Da ist zum zweiten, und das hängt ganz eng mit Punkt eins zusammen, die psychische Anfälligkeit der Mannschaft. Ein Fehlstart mit vier, fünf Toren Rückstand genügt meist schon, um die große Flatter zu bekommen. Das Team ist sogar in der Lage, die Eingangsthese von der Inkonstanz innerhalb einer Partie zu belegen. Wie am zurückliegenden Wochenende bei der Auswärtsniederlage in Gummersbach zu besichtigen war, als binnen weniger als 20 Minuten aus einem 17:17 ein 17:27 wurde. Und das mit einer Abwehr, die von vielen Bundesligatrainern als eine der besten der Liga charakterisiert wird.
Als drittes kommt sicherlich der sogenannte Olympia-Faktor hinzu. Trotz aller Freude bei am Ende über dreimal Gold und einmal Bronze in den eigenen Reihen, das Fehlen von fünf Rio-Startern in der kompletten Vorbereitung muss das Team jetzt richtig teuer bezahlen. In der gesamten Zeit stand beispielsweise kein Mittelmann zur Verfügung, musste nur experimentiert werden. Die fehlende Harmonie ist jetzt nicht zu übersehen. Trainer Wiegert: „Olympia hat uns in dieser Hinsicht schwer getroffen.“
Bemerkens- und des Nachdenkens wert ebenso: Viele Coachs der Konkurrenz bescheinigen dem SCM, über einen, was die individuellen Stärke der einzelnen Akteure angeht, ausgezeichneten Kader zu verfügen. Der im Sommer mit Mads Christiansen (Dänemark), Christian O’Sullivan (Norwegen) und Daniel Pettersson (Schweden) gut und sinnvoll ergänzt wurde. Dazu noch einmal TV-Experte Kretzschmar: „Es muss jetzt gelingen, diese ausgezeichneten Individualisten zu einem Team zu formieren.“ Das scheint in der Tat eine der härtesten Nüsse zu sein, die Wiegert jetzt zu knacken hat.
Dabei sind die Voraussetzungen alles andere als schlecht. Aus dem 15er-Kader haben bis auf Ausnahme von Kapitän Fabian van Olphen und Linksaußen Yves Grafenhorst alle Akteure einen über 2017 hinausgehenden Vertrag. Stammkräfte wie Robert Weber, Marko Bezjak, Matthias Musche, Dario Quenstedt und Nemanja Zelenovic unterschrieben sogar bis 2019. Kontinuierliche Arbeit scheint also gewährleistet. „Unser Ziel ist es“, erklärte Sportchef Steffen Stiebler, „für die nächsten Jahre den Kern unserer Mannschaft zusammenzuhalten, um sportlich an das Spitzentrio heranzuwachsen“. Einziger Wermutstropfen: Finn Lemke gab dem Pokalsieger 2016 einen Korb.
Auch wenn der einzige deutsche Nationalspieler des Klubs beteuert, seinen Kontrakt nur deshalb nicht zu verlängern, weil er für sich zu wenig Einsatzzeiten im Angriff sieht, bleiben Fragen. Etwa die: Warum sieht er für sich bereits nach einem Jahr das Projekt SCM als gescheitert? Zumal es ein Anliegen von Trainer Bennet Wiegert war, den blendenden Abwehrmann Lemke gerade im Angriff mehr einzusetzen und zu fordern („Er hat auch dort ein hohes Potenzial, es blieb bisher nur zu wenig Zeit, das herauszukitzeln“). Wenn es nach Ansicht des Spielers schon in Magdeburg nicht reicht, an einem Michael Damgaard heran- oder gar vorbeizukommen, wie soll das bei anderen Spitzenklubs gelingen, die auf der Königsposition auch nicht gerade schlecht bestückt sind? Warum dementierte Meister Rhein-Neckar Löwen öffentlich, an Lemke überhaupt Interesse (gehabt) zu haben? Und: Ist es purer Zufall, dass nach Stefan Kneer und Espen Lie Hansen jetzt mit Lemke bereits der dritte Mann auf halblinks nicht verlängert beziehungsweise vorzeitig geht?
Sei‘s drum, nehmen wir es positiv. Mit der (natürlich ungenannten) Summe, die die Magdeburger für Lemke monatlich hinblättern und ab Juli 2017 einsparen, sollte sich doch zumindest gleichwertiger Ersatz finden lassen. Wo auch immer. Denn in der Szene weiß inzwischen jeder, dass deutsche Nationalspieler nach den Erfolgen bei EM und Olympia ihren speziellen Preis besitzen. Er liegt „Sport Bild“ zufolge allemal im fünfstelligen Bereich. Netto wohlgemerkt. Da wir gerade bei den Finanzen sind. Auch wenn man beim SCM Geld wie ein scheues Reh behandelt und, wie andere Bundesligisten auch, keine Etatzahlen nennt, in einem wird Manager Marc Schmedt dann doch deutlich: Sein Unternehmen will die Einnahmen in den Bereichen Sponsoring und Ticketverkäufen um 20 Prozent steigern. Eine Million Euro soll dem Vernehmen nach zusätzlich in die Kasse fließen. Hauptsponsor Getec erhörte den Ruf umgehend und sattelte bei der jüngsten Vertragsverlängerung genau jene 20 Prozent schon mal drauf. Sicher nicht ohne den Hintergedanken, dafür auch mit der einen oder anderen sportlichen Gegenleistung rechnen zu können. Und das möglichst nicht erst am St. Nimmerleinstag. Getec-Chef Karl Gerholdt sprach gegenüber Magdeburg Kompakt diese Wünsche schon einmal laut aus: „Wir hoffen, dass wir in der Saison 2017/18 die Champions-League-Plätze angreifen können.“ Dazu müsste beim SCM, siehe die Eingangsfakten, jedoch eine Schubumkehr einsetzen. Und das möglichst zügig.
Kompakt: Der SC Magdeburg ist der einzige Verein aus den neuen Ländern, der sich nach der Wende dauerhaft in der ersten Handball-Bundesliga etablieren konnte und nie absteigen musste. Der Gewinn der Champions League 2002, der dreimalige Sieg im EHF-Cup sowie die deutsche Meisterschaft 2001 und zwei Pokalsiege (1996, 2016) zählen zu den größten Erfolgen der letzten 25 Jahre. Seine Heimspiele bestreitet der 1955 gegründete Klub, der zehn Mal DDR-Meister wurde und fünf Mal den DDR-Pokalsieg errang, in der 7100 Zuschauern fassenden Getec-Arena. Die Vereinsfarben sind Grün-Rot. Im derzeitigen Kader stehen Spieler aus neun Nationen. Der Ausländeranteil liegt nach Vereinsangaben bei 63 Prozent, das Durchschnittsalter bei 26,2 Jahren.